Es war 1981, als „Wetten Dass?!“ zum ersten Mal im Fernsehen lief, als der rüde Tatort-Kommissar Horst Schimanski den Ruhrpott aufmischte, und als Prinz Charles seine Lady Diana heiratete. Nicht in den großen, nationalen Schlagzeilen tauchte damals auf, wie 13 Unerschrockene am 15. Februar in jenem Jahr den Rock’n’Roll Club Böblingen gründeten.
Aus ehemaligen Judokas werden begeisterte Rock’n’Roller
Angefangen hat es mit Ipon-Seionage, Kata-gatame, O-Goshi, Deashi-Barai und Taio-Toshi. Was diese Judo-Begriffe mit Rock’n’Roll zu haben? Nun, die Kampfkunst hat einen Nachteil. Außer Angriffs- und Wehgeschrei bekommt man wenig zu hören. Deshalb fragten sich einige Judokas am Otto Hahn Gymnasium: Gibt es nicht eine Sportart, in der man etwas anderes hört – zum Beispiel fetzige Musik – und wo man sein Gegenüber trotzdem durch die Halle schmeißen darf? Lehrer Rainer Deim wurde fündig: Rock’n’Roll.
Viel wichtiger noch für die Judokas: Das durfte man sogar gemeinsam mit Mädchen machen. Und so kamen sie mit Turnerinnen und Tanzschülerinnen zusammen, wagten die ersten Schritte und Würfe. In Sachen Formalitäten bei Vereinsgründungen fand die Truppe mit Hans Adolf Bode einen guten Ratgeber. Der Rest ist Geschichte. Seinen 40. Geburtstag feiert der RRC am 23. Juli ab 19 Uhr in der Alten TÜV-Halle mit der Live-Band „Krüger rockt!“ nach.
In den vier Jahrzehnten seines Bestehens hat sich beim Rock’n’Roll Club einiges getan. 1982 wurde der ersten Trainer engagiert. Mit Rene Sagarra, dem damaligen Weltmeister, zog man einen großen Namen an Land. 1984 gab es die Premiere der Herbstmeisterschaften in Dagersheim. Erst 1988 gab sich der Verein einen Namen.„Scoobidoos“, „Rambling Bobilos“, „Whiling Feet“ oder „Teddybears“ fanden in einer heißen Wahlschlacht keinen Anklang. „Twisting Grizzlies“ machte das das Rennen.
Bei „Verstehen Sie Spaß“ als Komparsen fast nackt neben Karl Dall
1989 richtete der RRC bereits die deutsche Meisterschaft in der Kongresshalle aus, die neue Auftrittsformation „Petticoats“ ergänzte die Turnierpaare. Fernsehaufnahmen im Deufringer Schloss, zig Landesgartenschauen, Leichtathletik-Worldmeetings in der Stuttgarter Schleyer-Halle, Shows mit Peter Krauss, Bill Ramsey, Frank Zander und Ted Herold – alles haben die Böblinger erlebt. Bei „Verstehen Sie Spaß“ saßen sie sogar fast nackt als Komparsen neben Karl Dall. Von den weit über 100 Meistertiteln, die in all den Jahren dazukamen, oder den Paaren in der deutschen Nationalmannschaft ganz zu schweigen.
1995 hatte der Boogie Woogie seine zarten Anfänge, und begeisterte Tänzer füllten den Gymnastikraum im OHG. 1997 widmete der SWR den Rock’n’Rollern sogar eine ganze Sendung – es sollte nicht das letzte Mal bleiben –, und ein weiteres Kultprojekt wurde geboren: Die Masterformation „Wilder Süden“ startete ihren beispiellosen Siegeszug. 1998 wurde sie deutscher-, Europa- und Vizeweltmeister, gewann 1999 sowie 2000 alle drei – und noch mehr – Titel. Angespornt von den Erfolgen gründete sich die Quattro-Formation „Bubble Gums“.
„Wilder Süden“ erhält höchste Sportlerauszeichnung der Bundesrepublik
2001 feierte der RRC seinen 20. Geburtstag mit rund 500 Gästen und beschenkte sich selbst mit der Ausrichtung der WM in einer ausverkauften Sporthalle. Die „Bubble Gums“ wurden Vierter, der „Wilde Süden“ ertanzte sich vor heimischem Publikum den dritten Titel in Serie. Nicht nur dafür bekam die Truppe 2003 in Berlin von Wolfgang Schäuble die höchste Sportlerauszeichnung der Bundesrepublik überreicht, die sie zum zweiten Mal fünf Jahr später erhielt.
Das Jahr 2005 endete am 12. November mit einer der emotionsgeladensten Weltmeisterschaften, die Deutschland je gesehen hat. Der RRC zeigte einmal mehr seine Qualitäten als Ausrichter, die Stimmung in der über 3000 Zuschauer fassenden Sporthalle war bombastisch. Die neue Quattro-Formation „Kleiner Süden“ belegte den neunten Platz, der „Wilde Süden“ holte erneut den Titel – zum siebten Mal in Folge – und kündigte danach seinen Rücktritt aus dem Turniergeschehen an.
Am Weltrekord im Formationstanzen beteiligt
Als 2007 das letzte Stündlein der legendären Sporthalle schlug, tanzten die Rock’n’Roller wehmütig ein letztes Mal in den heiligen Hallen. Doch es gab auch gute Nachrichten: Die Böblinger nahmen im Europapark Rust am Weltrekord im Formationstanzen teil und kamen ins Guinness Buch der Rekorde.
2011 wurde der Verein 30 Jahre alt, inzwischen tanzte bereits die zweite Generation. Auch bei der selbst veranstalteten süddeutschen Meisterschaften, wo Ex-Oberbürgermeister Alexander Vogelsang die Ehrenmitgliedschaft erhielt. 2013 wurden die „Gummibärchen“ gegründet, die Kleinsten können hier schon ab vier Jahren das Tanzen lernen. Die Boogie-Woogie-Tänzer bekamen mit Doris Ege, ihres Zeichens deutsche und Europameisterin, eine Toptrainerin.
Goldene Verbandsehrennadel für Markus Stauss
2015 gab es die goldene Ehrennadel des Baden-Württembergischen Rock´n´Roll und Boogie Verbandes für den RRC-Vorsitzenden Markus Stauss. Die Mitglieder verliehen ihm zudem den Oscar für 30 Herbstmeisterschaften. Die Fitnessgruppe wurde 2016 bereits 15 Jahre alt und erfreut sich weiterhin großer Beliebtheit, 2017 feierte der West Coast Swing in Böblingen mit einer vollen Halle sein einjähriges Bestehen, und 2018 tanzten die Rock’n’Roller bei der „Cool-Water-Challenge“ auf der Kneipp-Anlage in Sindelfingen.
2019 konnte noch keiner ahnen, dass die 35. Herbstmeisterschaft vorerst die letzte sein würde, bevor Corona auch diesem Verein zusetzte. An der immensen Erfolgsgeschichte des RRC Böblingen konnte aber auch das nichts ändern. Bis heute haben die „Twisting Grizzlies“ in mehr als vier Jahrzehnten über 850 Turniere getanzt, 35 Herbst-, drei Landes-, je eine süddeutsche und deutsche sowie zwei Weltmeisterschaften ausgerichtet und über 600 Auftritte in nah und fern getanzt.